Happily ever after

Text von Aneli Hüttner
Illustrationen von Anna Knopf

Es ist Freitagabend. Ich bin müde, starre aus dem Fenster, manchmal auf mein Smartphone. Ich tue dies, um gleichzeitig krampfhaft zu ignorieren, was auf meinem Bett vor sich geht. Zwei Kinder, vier und sieben Jahre alt, glotzen begeistert in meinen Laptop. Die Story: männliche Schildkröte verliebt sich an ihrem Schlüpftag in andere, weibliche Schildkröte. Die beiden werden kurz darauf durch die Widrigkeiten des Lebens getrennt und setzen von nun an alles daran, sich wiederzufinden. Erzählt wird der Film aus der Perspektive des Schildkrötenmännchens. Jahre später, als die beiden sich nicht nur bereits wiedergefunden haben, sondern auch schon Großeltern geworden sind und ihre Enkelkinder verkuppeln wollen. Ich denke: Was für ein Scheiß! Die Motive der – zu Recht – verschrienen Teenie-Filme der frühen 2000er werden heute als Kinderunterhaltung recycelt. Meine Kinder aber haben seit 60 Minuten nicht mehr geblinzelt. Mein Sohn, der sonst bei jedem Kuss Würgegeräusche macht und sich die Augen zuhält, seufzt: »Ist das ein schööööner Film!« Happily ever after. Ich fühle mich schlecht.

»Was kannst du deinen Kindern so jung schon bieten?« Diesen Satz bekomme ich zu hören, seit ich im Alter von 24 Jahren mit dem Kinderkriegen begonnen habe. Von engen Freund*innen, losen Bekannten, Arbeitskolleg*innen, Kommiliton*innen und von Menschen, die ich so gut wie gar nicht kenne – und die das eigentlich auch nichts angeht. Mein leidenschaftliches Plädoyer, dass Babys doch nichts weiter bräuchten als Liebe und die Geborgenheit einer Familie, schien die Besorgten jedoch zu beschwichtigen. Und mich selbst gleich mit. Denn dank Filmen wie »Ein Hund namens Beethoven«, »Wir Kinder aus Bullerbü« oder »Eine himmlische Familie« sowie den zahlreichen Mompreneurs-Accounts in meinem Instagram-Feed war auch ich zum Fan des Verkaufsschlagers »Perfekte Kleinfamilie« geworden – natürlich inklusive drumherum platziertem Wohlstand: schicken Klamotten, Holzspielzeug, modernen Kinderwägen und dem Hashtag #sevenmonthssevencountries.

“Du bist nach zwei Jahren immer noch Single?”

Nun ist es aber so: Die schlimmsten Befürchtungen meiner Freund*innen, Bekannten, Arbeitskolleg*innen und der fremden Menschen auf der Straße sind wahr geworden. Ich kann meinen Kindern weder großen Reichtum bieten noch diese Art von Familie, die das Maß aller Dinge scheint. Das mit der großen Liebe lief nicht so, wir haben uns getrennt. Und zwar einvernehmlich und gleichberechtigt. Dennoch wurden sofort sorgenvolle Fragen laut: Wie wollt ihr das denn ökonomisch handhaben? Müssen die Kinder sich aufteilen? Kommen sie mit der Neuen ihres Vaters klar? Auf all das habe ich eine ungefähre Antwort. Nur auf eine Frage weiß ich nichts zu erwidern: »Du bist nach fast zwei Jahren immer noch Single?« Tja. Was jetzt, liebe Insta-Mommies? Eine Sache scheint nämlich weder auf Instagram noch im Filmgeschäft bisher so richtig eine Nische gefunden zu haben: Single-Parents. Aka: Der Super-GAU.

Where you lead, I will follow … die einzige Single-Mom die mir beim Scrollen durch meine Netflix-Datenbank selbstbewusst entgegenwinkt (in der anderen Hand einen Becher Kaffee), ist Lorelai Gilmore. Die Gilmore Girls, das ultimative Mutter-Tochter-Duo mit ihren rasanten Dialogen über Snacks, die Großeltern und Filmgeschichte, schaffen es so einigermaßen, das Single-Mutter-Dasein ins Rampenlicht zu rücken. Trotzdem fand ich lange die Vorstellung, dass Lorelai Gilmore die besten Jahres ihres Lebens ausschließlich damit verbracht hat, eine gute Mutter für Rory zu sein, ziemlich krass. Wieso hat sie sich nie mit Männern getroffen? Wieso startet die Serie als Rory bereits 16 ist und selbst anfängt zu daten? Da stimmt doch irgendwas nicht. Noch schlimmer fand ich aber schon immer die Darstellung von Single-Dads in Filmen. Entweder sie wurden verlassen von einer garstigen Frau, die nichts mehr von ihrer Familie wissen wollte oder zumindest drogenabhängig war und nach Kalifornien abgehauen ist (»Shameless«), oder sie sind verwitwet und verzweifelt (»My Girl«). Letzteres durchaus häufiger (»Liebe braucht keine Ferien«). Logisch: Mutter tot, die Empathiemaschine rattert. Das wussten schon die Gebrüder Grimm, aber auch Tom Hanks und Jude Law stahlen mit dieser Masche weltweit Frauenherzen. In meinem Leben sieht es dagegen so aus: Mutter erzieht Kinder, hat mittelgut bezahlten Job und versucht, einfach nicht im Alltag unterzugehen. Aber wer will das schon sehen? Natürlich wäre ich auch gerne eine Erin Brokovich, erfolgreich und unabhängig, aber dazu müsste ich erstmal die Kapazitäten haben, mein Studium zu beenden.

Meine Freundinnen, die zwar Singles aber keine Mütter sind, beharren felsenfest darauf, dass es ein Kinderspiel für mich sein müsste, einen Kerl zu finden. Einfach App an und los. Online wimmele es doch nur so von Männern Anfang dreißig, die auf der Suche sind. Für die sei eine Frau, die schon Kinder hat, doch der Hauptgewinn. Ich halte das für ein Gerücht. Bei OkCupid bekomme ich nur Profile vorgeschlagen, in denen es heißt: Wants kids. Worauf sich mein Uterus meldet und seine Frühverrentung ankündigt. Vor dem ersten Treffen bereits an Familienplanung denken? Nein, danke. Und überhaupt: Ich habe schon eine Familie. Ich fühle mich furchtbar alt. Wie machen andere Frauen das bloß? Zwar gibt es auch Momfluencer, die sich trennen (»Einige von euch haben es schon gewittert …«) und dann einige Zeit auf #singlemompower machen. Doch ehe ich überhaupt begriffen habe, was da vor sich geht, sind sie schon wieder unter der Haube. Entweder mit besserem neuen Papi oder mit Vorzeige-Patchwork, in der Hoffnung, es mal auf die Wahlplakate der Grünen zu schaffen.

Hier ist, was ich weiß: Meine Kinder werden geliebt und erfahren an mehr als einem Ort Geborgenheit. Das mag manchen Menschen Unwohlsein verschaffen, wir haben uns gut damit arrangiert. Schildkröten, so habe ich bei meiner direkten Recherche an jenem Freitagabend herausgefunden, sind definitiv nicht monogam. Manchmal bewacht das Weibchen noch die Eier, nach dem Schlüpfen sind die Jungtiere dann aber definitiv auf sich allein gestellt. Es kommt sogar vor, dass sie von anderen erwachsenen Schildkröten ihrer eigenen Art gefressen werden. Das war’s dann wohl mit happily ever after. Unromantisch? Vielleicht. Aber da wo Hollywoods Fiktion oder die liebste Reality-Show Instagram aufhören, fängt unsere Realität an. Und die ist häufig anstrengend, sexistisch und peinlich. Trotzdem wünsche ich mir, dass Singles sichtbarer in unserem Alltag wären. Single-Mütter und Single-Väter. Single-Eltern, die es okay finden, Single zu sein und die Beendigung dieses Zustands nicht als einzigen Lebensinhalt sehen. Solche, die verlassen wurden und solche, die verlassen haben. Die sich um ihre Kinder kümmern. Unaufgeregtes Patchwork. Eben so wie Ross und Rachel von Friends, bevor sie dann am Ende doch zusammenkommen. Ach nee, die waren ja bloß »on a break«.

“Die Zeit vergeht auch ohne die Suche nach dem einen Seelenverwandten.”

Und Lorelai? Heute finde ich an ihrer Lebensweise nichts mehr komisch. Ich kann es total nachvollziehen, dass sie so lange Single war, sich um Rory gekümmert und gearbeitet hat, auf’s College gegangen ist, mit Freund*innen Pizza gegessen und viiiiiiiiel Kaffee getrunken hat. Die Zeit vergeht auch ohne die Suche nach dem einen Seelenverwandten. Happily ever after passiert genau jetzt: Mit den Kindern, mit Freund*innen, mit guten Büchern, beim Schreiben der Masterarbeit, mit den Füßen im See und auf peinlichen Tinder-Dates. Vielleicht, aber nur ganz vielleicht, fange ich jetzt trotzdem an, mir meine Mate immer im gleichen Späti zu holen. Denn bei Lorelai war es ja am Ende auch der Koffein-Dealer …

Dieser Text wurde 2019 in “Almost 30 – The Value Issue” veröffentlicht.
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